Feminism WTF

Aber let’s start from the beginning:
Manchmal ist dieser Blog für mich nicht nur mein leibhaftiges – digitalisiertes-materialisiertes – schlechtes Gewissen („Ich müsste_könnte_sollte mal wieder was posten“), sondern auch ein großes Geschenk. Dieses Mal hat der Blog mir eine Einladung zur Pressevorführung des Dokumentarfilms „Feminism WTF (What the fuck)“ von Katharina Mückstein beschert.
Ich hab mich sehr gefreut, als Bloggerin wahrgenommen zu werden, die mithelfen kann, die „Frohe Botschaft“ (vom Feminismus und von diesem Film) zu „verkünden“. Außerdem war ich entzückt zu erfahren, dass dieser Film, der auf dem Dokfilmfest in Kopenhagen Premiere hatte und in Österreich bereits gefeiert wird, in Kürze auch hierzulande in die Kinos kommt.

Worum geht’s im Film?
In „Feminism WTF“ erklären elf beeindruckende Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Bildungsarbeiter*innen [ihre Namen findet ihr hier], was einen intersektionalen, queeren, dekolonialen und kapitalismuskritischen Feminismus ausmacht. Im filmischen Dialog mit den O-Tönen der Expert*innen wird hier getanzt, gespielt, gekämpft und geliebt. So wird das „Haus des Feminismus“ mit Leben gefüllt, in Szene und in Bewegung gesetzt – und metaphorisch die Frage aufgegriffen „Was ist das eigentlich für ein Haus?“

»Warum ist Feminismus so ein Reizthema? Warum wird darüber so viel gestritten?,“
fragt die Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan in einer der ersten Sequenzen des Films. Als Antwort stellt sie diese These auf:
“Irgendwie sind wir sehr überzeugt, Geschlechterverhältnisse und diese Rollen haben etwas mit Geborgenheit zu tun. Mutter, Frau, Schwester, Tochter. Und wenn die grundsätzlich in Frage gestellt werden, ist das so eine Desorientierung.“
Deshalb käme, so Dhawan, immer wieder der Vorwurf „Feminismus bringt die ganze gesellschaftliche Ordnung in die Krise.“ Und sie stellt klar: „Und das stimmt auch so. Das wollen wir auch!“

Feminist*innen wollen gesellschaftliche Ordnungen auf den Kopf stellen und die Verhältnisse zum Tanzen bringen“und neu und anders ordnen.
– Warum wollen sie das?
– Und wie kann das aussehen?
Darum geht es in „Feminism WTF“.

In dem „abendfüllenden“ Dokumentarfilm (96 Min.) erläutern die interviewten Expert*innen u.a., wie (Hetero-)Sexismus, Rassismus, (Post-)Kolonialismus und unsere kapitalistische Wirtschaftsweise historisch und aktuell miteinander verflochten sind. Sie analysieren, wie sich dies auf unsere Lebenssituationen hier und heute auswirkt – Lebenssituationen, die je nachdem, wie wir sozial positioniert sind, sehr unterschiedliche Handlungs- und Teilhabemöglichkeiten bieten; also je nachdem, ob wir z.B. als „Mensch bzw. weißer Mann“, als „Frau“ oder als „Schwarze Frau“ angesehen werden, um ein Beispiel aus dem Film zu nennen.

Oder, wie die Sozialpädagogin und Autorin Emilene Wopana Mudimu es formuliert:
„Es ist ja auch lange gar nicht mitgedacht worden, dass es eben diese Gruppen in unserer Gesellschaft gibt, die in der Hinsicht doppelt oder mehrfach diskriminiert werden. Und dass wir eigentlich auch vor allem für diese Frauen Race nicht von Gender oder Sex wegdenken können.“

Der Film bietet gut verständliche Erklärungen und anschauliche Beispiele dafür, wieso „Natur kein Schicksal“ und wieso die „biologische Zweigeschlechtlichkeit“ eine Erfindung der Menschen ist, die das große Spektrum an Geschlechtervielfalt unsichtbar macht. Wir können nachvollziehen, wie das läuft, dass wir von Geburt an z.B. in die binären Geschlechterpositionen „männlich“ und „weiblich“ hineingepresst bzw. „gerufen“ werden – und wie wir auch selbst dafür sorgen, dass wir da rein passen, dass wir nicht aus der (Geschlechter_)Norm heraus fallen. Es geht um Fragen der Repräsentation und Partizipation, z.B. in den Medien, Politik und Wirtschaft. Es geht um‘s Laut-Sein (nicht nur) in der Öffentlichkeit und um‘s Gehört-Werden. Problematisert werden gesellschaftliche Diskurse und Normen, Praktiken und Strukturen, die Anerkennung, Macht und Wohlstand, Rechte und Pflichten, Freiheiten und Zwänge sehr unterschiedlich verteilen.
Und es geht auch um Gewalt. So erzählen die Interviewten von Strategien der Selbst-Verteidigung und -Ermächtigung, von Entwürfen eines solidarischen Miteinanders und von der Sorge um und der Sorge für andere Menschen und unseren Planeten. Von einer Sorge, ohne die kein (Über-)Leben möglich wäre und die meist unbezahlte, kaum anerkannte Arbeit ist. Eine Sorge-, Care- bzw. Reproduktions-Arbeit, von der der Kapitalismus gründlich profitiert.

Was mir am Film besonders gefallen hat?
Die Auswahl der Gesprächspartner*innen ist super, finde ich. Und ich bin begeistert, dass die Expert*innen die skizzierten Probleme so gut nachvollziehbar analysieren und verständlich erklären. By the way: Sobald möglich, werde ich den Film in meiner Lehre einsetzen – vermutlich eher in „kleinen Häppchen“, denn die verhandelten Fragen sind komplex und über jede ließe sich lange nachdenken, nachspüren und austauschen… Außerdem bin ich sehr dankbar dafür, dass „Feminism WTF“ auch Gefühle, insbesondere Ängste, thematisiert. Und dass er Verletzlichkeit(en) und Sorge, im oben skizzierten doppelten Sinne, ins Zentrum stellt.

Es gab viele Momente im Film, die mich berührt haben und die ich sehr inspirierend fand.

Jedoch hat der Film mich nicht nur ermutigt. Am Ende bleibe ich eher nachdenklich zurück. Das hat, glaube ich, mit der letzten Interviewfrage zu tun, der Frage nach unserer Welt in 100 Jahren. Denn angesichts des Rechtsrucks (nicht nur) in Deutschland und Europa sowie der Aufrüstung der „Festung Europa“, angesichts von Kriegen und Klimakrise, bleiben (zwangsläufig) viele Fragen offen.
Vielleicht hätte es mich ermutigt, auch indigene Feminismen und Perspektiven aus dem Globalen Süden kennen zu lernen. Und auch die Stimmen von Expert*innen zu hören, die in unseren (Leistungs-)Gesellschaften durch (Körper-) Normen und Ableismus und Klassismus behindert und ausgeschlossen werden, wie z.B. Svantje Köbsell oder Francis Seeck. Vielleicht hätte es mir geholfen, mehr über feministische Widerstands- und Organisierungsstrategien zu erfahren. Die Expert*innen stehen und sitzen doch alle recht alleine da in dem großen Haus. Und auch die Tänzer*innen und Kämpfer*innen sind zwar mitunter versammelt, bleiben aber innerhalb dieser vier (und mehr) Wände. Warum gehen sie eigentlich nicht raus?
Vielleicht hätte ein bisschen mehr „Grün“ und „Draußen“ mir Hoffnung gemacht. Ein Schritt hinaus unter freien Himmel, auf Wiesen und Wälder und in den Alltag der Akteur*innen. Hinaus auf öffentliche Plätze, auf denen ja auch (feministisch) getanzt und performt wird, wie wir z.B. von Las Tesis oder von OneBillionRising wissen. Oder auch von der Anarchistin Emma Goldmann, an deren Zitat Nikita Dhawan uns im Film erinnert:

„Wenn ich nicht dazu tanzen kann, ist es nicht meine Revolution“.

Wahrscheinlich verlange ich hier zu viel von EINEM Film?
Denn, wie die Regisseurin Katharina Mückstein, die seit 2015 zusammen mit Ina Freudenschuss in einem wechselvollen Prozess (inkl. Corona-Pandemie) an Konzept und Realisierung des Films gearbeitet hat, selbst schreibt:
„Letztlich bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es unmöglich ist, einen Film zu machen, der alle Aspekte des feministischen Diskurses abbildet. Schon alleine, weil ich den Film aus meiner wei¬ßen, europäischen Perspektive einer privilegierten cis Frau* mache. Die Offenheit von Personen, die anders sind als ich, sich und ihre Erfahrung und Haltung in dieses Projekt einzubringen, war eine Grundvoraussetzung für das Gelingen dieses Films und zugleich der bereicherndste Aspekt dieser Arbeit für mich.“

Und nun?
Also wenn ihr mich fragt: Der Film ist super! Bitte geht alle ins Kino und schaut ihn euch an! Und dann lasst uns darüber sprechen und streiten. Denn, um nochmal Nikita Dhawan zu zitieren: „Der Feminismus lebt von Konflikten“.
Und dann lasst uns, womöglich, Teil II, III, IV etc. auf den Weg bringen. Denn „Feminism WTF“ vermittelt super viel wichtiges Wissen zum Feminismus und einer solidarischen, gewaltfreien, sorgenden Welt – und zugleich bleiben viele Fragen offen, die in weiteren (Film-) Projekten von weiteren, diversen Teams, realisiert werden könnten.
Die Frage der Hoffnung und Ermutigung in herausfordernden Zeiten, die können wir uns wohl nur selbst und zugleich gemeinsam (und immer nur vorläufig) beantworten. Ich bin also gespannt, was ihr darüber denkt, wie ihr das empfindet und was ihr dazu sagt. Deshalb: hinterlasst gern einen Kommentar oder gebt mir nen Tipp, wie und wo ich eure Perspektive kennen lernen kann. Ich freue mich drauf!

Infos zum Film FEMINISM WTF (What the Fuck)
Österreich 2023 | 96 Minuten
Regie: Katharina Mückstein
Buch: Katharina Mückstein und Ina Freudneschuss
Soundtrack: Tony Renaissance
Sprachen: Deutsch mit englischen Untertiteln
Hier gehts zum Trailer

P.S.:
Bei einem Spaziergang durch Neukölln entdecke ich das Filmplakat zu „Geschlechterkampf – Das Ende des Patriarchats“, einem Filmessay von Margarita Breitkreiz und Sobo Swobodnik, u.a. mit Lady Bitch Ray, Teresa Bücker und Michaela Dudley. Klingt auch spannend. Hier findet ihr eine Filmkritik von Anke Zeitz.

P.P.S.:
Dieser Blog wird sich jetzt wieder schlafen legen, damit ich mit der Arbeit an meiner Diss vorankomme. Falls ihr auf dem Laufenden bleiben wollt, was u.a. (intersektionalen und queeren) Feminismus betrifft, empfehle ich:
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Der Hase im Pfeffer von Ulla Scharfenberg
Migrazine – Online Magazin von Migrant:innen für alle
Aus Liebe zur Freiheit von Antje Schrupp
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