Politik & Politische Initiativen – im Kontext der Corona- und anderer Krisen

Women in Exile fordern weiterhin die Schließung der Lager für Geflüchtete und ihre Unterbringung in sicheren Unterkünften. Sie protestieren dagegen, dass Geflüchtete unter den desaströsen Bedingungen in den Lagern kollektiv in Quarantäne gesetzt werden, wie z.B. in Hennigsdorf im Bezirk Oberhavel, wo 300 Menschen von solch einer Maßnahme betroffen sind und wo keine Schritte unternommen werden, um die Betroffenen menschenwürdig und unter hygienischen Bedingungen unterzubringen. Women in Exile beziehen sich mit ihrer Forderung auf „zahlreiche selbst-organisierte Proteste von Flüchtlingen, besonders in den überfüllten und beengten Erstaufnahme-Lagern wie Bremen und Halberstadt (Sachsen-Anhalt), die gegen ihre eigene Unterkunft demonstrieren“.

In einem Blopst vom 7. April erinnern sie an das Verschwinden von Rita am 7.4.2019, die später in der Nähe des Lagers tot aufgefunden wurde. Der Mord ist bis heute nicht aufgeklärt. Sie schreiben dazu: „Bis heute gibt es keinerlei Informationen, was unserer Schwester zustoß. Rita war erst 32 Jahre alt, hinterließ zwei kleine Kinder und musste die letzten sieben Jahre ihres Lebens in dem Lager in Hohenleipisch verbringen. In dieser Zeit beschwerte sie sich mehrmals bei der Heimleitung über sexuelle Belästigung, jedoch wurden ihre Beschwerden durchgehend ignoriert.“

Das International Womens Space veröffentlicht Lager-Reports, in denen geflüchtete Frauen* über die Situation in den Sammelunterkünften sprechen – in englischer und deutscher Sprache, als Text und Audiofile.

Auf dem Blog von Vielen finden sich in diesem Monat neben persönlich-politischen Reflexionen über das Leben in Folge einer Traumatisierung und über die Grenzen und Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit zur Dissoziativen Identitätsstruktur (DIS) zwei Beiträge, die ich besonders hervorheben möchte:
Am 1.4. machen sie auf den Weltautismustag aufmerksam und reflektieren über Pro und Contra eines solchen Tages: „Schon einen einzelnen Tag im Jahr für die Thematik freizumachen ist absurd. Das wirkt wie ein Gedenktag, an Autismus wird aber nicht gestorben, sondern an dem Ableismus, dem Saneismus und der damit begründeten Gewalt, die autistischen Menschen angetan wird. Damit meine ich nicht nur Eltern, die ihren Kindern Bleichmittel einflößen, sie mangelhaft und einseitig ernähren oder direkt töten, sondern auch Konversionstherapien, der Zwang zu Anpassungsleistungen, die weit über die jeweiligen Kompensationsfähig- und -fertigkeitsoptionen gehen und das Verwehren von Teilhabe und Selbstvertretung.“
Ein Gastbeitrag vom 20.4. plädiert für solide Informationen zu Ritueller Gewalt zwischen den zwei Extremen Verschwörung und Leugnung. Der Beitrag ist eine gemeinsame Stellungnahme von der Emanuelstiftung (Bonn), von Lichtstrahlen Oldenburg e.V. und Mosaik gegen Gewalt e.V., Bielefeld, die gemeinsam das „Infoportal Rituelle Gewalt“ betreiben.

Laura Melina Berling analysiert auf ihrem Little Feminist Blog die aktuelle Situation von ihrem relativ privilegierten Standpunkt aus und blickt dabei auf verschiedene gesellschaftliche Konfliktkonstellationen: „Ich muss ja zugeben, ich merke meine Privilegien in der Corona Krise. Andere merken, dass sie keine oder nur sehr wenige haben. Auch wenn ich gerade sehr abgesichtert bin, weiß ich doch von meiner Arbeit als Sozialpädagog*in (viele Sozialpädagog*innen sind gerade sehr belastet!!) von vielen Fällen häuslicher Gewalt, von Situationen, die sich gerade zuspitzen und von Frauenhäusern, die aus allen Nähten platzen. Immer, aber momentan so richtig. Es gibt eine Menge Solidarität während Corona. Es gibt aber auch eine Menge rechter Idioten, die wie immer Verschwörungstheorien ins Netz hauen, es gibt den Staat, der sich darauf verlässt, dass Ehrenamtliche einspringen, dass gespendet wird.“

Antje Schrupp reflektiert in einem Post vom 5.4. auf dem Gemeinschaftsblog Beziehungsweise weiterdenken über Care, Corona und eine Politik der Beziehungen. Sie schreibt: „In der Tat hängt das Dilemma der Care-Arbeit wesentlich mit der Idee zusammen, diese Arbeit würde quasi ‚von Natur aus‘ in den Zuständigkeitsbereich bestimmter Menschen fallen – und in den der anderen nicht. Hier leben letztlich die alten Ungleichheiten der griechischen Polis fort: Freie Männer sind von den banalen Tätigkeiten des Lebens befreit, für die Arbeiten sind Frauen sowie Sklavinnen und Sklaven zuständig. Während unbezahlte Care-Arbeit vor allem von Frauen gemacht wird, wird die schlecht bezahlte Care-Arbeit vor allem von Migrant*innen gemacht.“ Ausgehend von ihrer Analyse und mit bezug auf das Konzept des „Versprechens“ nach Hannah Arendt formuliert sie Vorschläge dafür, wie die Sorge füreinander solidarisch und diskriminierungsfrei gedacht und gestaltet werden könnte.

Regina Frey erläutert in einem Gespräch mit Marie Springborn, wie sie den Zusammenhang von Corona-Krise und Geschlechterverhältnissen versteht. Die Politikwissenschaftlerin und Beraterin der Vereinten Nationen Regina Frey hebt im Gespräch hervor: „Aber wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass die schrecklichsten Auswirkungen noch kommen werden und sie vor allem die Menschen in den Ländern des globalen Südens treffen werden. Wenn Menschen von der Hand in den Mund leben müssen, verhungern sie, sobald die Fabrik wegen Anforderungen an physische Distanzierung schließt. Weil zum Beispiel mit den Ladenschließungen der Absatz an Kleidern eingebrochen ist, werden Bestellungen annulliert, der Textilsektor bricht wohl derzeit zusammen. In Bangladesch arbeiten zum größten Teil schlecht bezahlte Näherinnen mit nur marginaler sozialer Absicherung. Die bekommen jetzt einfach keinen Lohn mehr. Und wo es nicht auch nur annähernd eine funktionierende öffentliche Gesundheits-Infrastruktur gibt, haben nur Reiche Zugang zu Intensivmedizin und überleben eine schwer verlaufende Infektion. Die globale soziale Spaltung wird auf die Spitze getrieben werden, es ist abzusehen, dass hieraus neue globale Fluchtbewegungen entstehen werden. Es wird enorm wichtig sein, sich nicht nur um deutsche oder europäische Krisenbewältigung zu kümmern, es ist jetzt internationale Solidarität gefragt. Es muss ein globales Konjunkturprogramm her, das natürlich auch die Geschlechterverhältnisse und die Bedeutung der Care-Arbeit auf dem Schirm hat. Es ist nicht zu begreifen, dass die deutsche Regierung Wochen braucht um ‚bis zu‘ (!) 50 Kinder und Jugendliche aus den Lagern in Griechenland hierher zu bringen – dort breitet sich COVID19 jetzt aus. Neben dem menschlichen Leid, das hierdurch erzeugt wird, zeigt es auch, dass die Regierung in Krisenzeiten nur bedingt dazu bereit oder in der Lage ist, die transnationale Dimension der Krise und ihre langfristigen Folgen zu erkennen. Da wird es aber kein „weiter so“ geben können.“

Die Website des Deutschen Frauenrats ist zwar kein Blog, ihr Dossier zu „Covid-19 aus der Geschlechterperspektive“ trotzdem sehr empfehlenswert.

Auf dem englischsprachigen Blog Young Feminist Europe finden sich im April gleich mehrere Beiträge, in denen es um eine Gender-Analyse der Folgen der Corona-Krise und um Petitionen und Manifeste von feministischen Organisationen geht:

1) In einem Statement fordern 1160 feministische und Frauenrechts-Organisationen des Globalen Südens und der marginalisierten Communities des Globalen Nordens aus mehr als 100 Ländern von den Regierungen, die COVID-19-Maßnahmen feministisch-intersektional auszurichten und menschenrechtskonform zu gestalten.
Das Statement umfasst Problembeschreibungen und Handlungsempfehlungen zu den folgenden Bereichen, die von den Unterzeichner*innen in der Krise als zentral betrachtet werden: Nahrungsmittelsicherheit, Gesundheitsfürsorge, Bildung, soziale Ungleichheit, Wasserversorgung und Hygiene, ökonomische Ungleichheit, Gewalt gegen Frauen* & häusliche und sexualisierte Gewalt, Machtmissbrauch und Zugang zu Informationen.

2) In einem anderen Manifest fordern NGOs von den Regierungen der Saaten der EU, dass sie (auch) während der COVID-19 Pandemie den sicheren und zeitnahen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen gewährleisten müssen.

Im Blogpost For a Europe that cares for all – during the COVID-19 pandemic and beyond informieren sie über ein anderes Manifest, in dem 59 NGOs der Zivilgesellschaft in Europa unter der Überschrift „Democracy – Inclusion – Justice – Solidarity – Sustainability“ eine grenz-überschreitende Solidarität in der Krise fordern. Hier ein Auszug aus der Erklärung: „ Solidarity goes beyond borders and should not be limited to European Union countries. This is more than a public health crisis; it is a systems crisis. Like the climate crisis, and the many other crises we face, it affects everyone but hits some harder than others. The COVID-19 pandemic magnifies the inequalities in our societies. Inequality was already a global problem but it now risks growing to irreversible proportions. Alongside the millions of workers who have lost their jobs and income, those most affected include migrants at the borders, precarious workers, undocumented people, low income families, homeless people, elderly people, women, and people with disabilities or chronic illnesses – including many racial and ethnic minorities.“

Der Blogpost Coronavirus Pandemic: Grasping the Outbreak with a Feminist Perspective vom 8.4. von Cecilia Francisco Carcelén liefert eine weitere Gender-Analyse der Krise.
Und in ihrem Newsletter verweisen sie auf die Website von EIGE European Institute for Gender Equality, die sich ebenfalls mit den gendered impacts (geschlechtsbezogenen Auswirkungen) der Corona-Krise beschäftigt.

Arianna Marchetti setzt sich in einem Post vom 1.4. kritisch mit dem sogenannten „Lipstick Feminism“ (Lippenstift Feminismus) und seiner positiven Bezugnahme auf die Konsumgesellschaft und den Kapitalismus auseinander: „Lipstick feminism is clearly in line with a new mode of neoliberal female’s citizenship, in which the achievement of a ‘glamourous individuality’ is seen as the key to women’s empowerment and success. The focus has shifted on individual’s projects, which are influenced and supported by consumer culture. Women’s liberation becomes an individual project that women can realise throughout their life and within this framework, a feminist political agenda becomes useless as feminism is perceived as an ideal to be practiced in Isolation.“